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Titel
Digital Past. Geschichtswissenschaften im digitalen Zeitalter


Autor(en)
Haber, Peter
Erschienen
München 2011: Oldenbourg Verlag
Anzahl Seiten
184 S.
Preis
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Pascal Föhr

Die kurz gehaltene und kurzweilige Publikation der Habilitationsschrift des in diesem Jahr verstorbenen Peter Haber befasst sich mit der Fragestellung, wie sich die Geschichtswissenschaft – und damit verbunden die Geschichtsschreibung und die Wahrnehmung von Geschichte – im digitalen Zeitalter verändert. Drei Aspekte will Peter Haber beleuchten: die Anfänge der elektronischen Datenverarbeitung in der Geschichtswissenschaft, den Wandel der Ordnungen historischen Wissens und die heutige historische Arbeitspraxis mit elektronischen Systemen. Viele Anregungen erhielt Haber durch die Nutzung der digitalen Medien, die er als kollaborative Arbeitsinstrumente verstand. World Wide Web, Weblogs und Internet-Telefonie sowie die Nutzung umfangreicher Datenbanken gehörten für ihn zum Rüstzeug eines modernen Historikers.

Haber legt zuerst dar, wie und von wem elektronische Datenverarbeitungsgeräte in der Geschichtswissenschaft seit Beginn der 1960er Jahre genutzt wurden. In den Anfängen beschränkte sich dies hauptsächlich auf quantitative Ansätze, Dokumentationssysteme und Textbearbeitung und -analyse. Mit der Einführung des Personal Computers, der sich bei Historikern ‘nur’ als komfortable Schreibmaschine etablierte, und der Verbreitung des Internets (dessen Entstehung ebenfalls umrissen wird), entstanden neue Verschriftlichungsprozesse, die heute noch nicht abgeschlossen sind (E-Mail, Short Message Services, Chat, Foren usw.). Das Internet wurde mehr und mehr für Fachdienste und Fachkommunikation genutzt (H-Net, Bibliothekskataloge usw.), deren Entstehungsgeschichte Haber ebenfalls umreisst.

Die Darstellung der Strukturen der Wissensordnungen im Wandel der Zeit, von der Bibliothek zu Alexandria zum Internet Archive, führt zur Erkenntnis, dass im Internet eine neue Kultur der Un-Ordnung entsteht. Wissen wird auf so unterschiedliche Arten miteinander verknüpft, so dass von Ordnungen gesprochen werden muss, die teilweise gegensätzliche Zugänge bieten. Solche Verknüpfungen bieten Wissensdatenbanken wie Wikipedia oder Suchmaschinen wie Google. Doch die Resultate einer Wissenssuche können sehr tückisch sein, wie Haber darlegt. Eine Suche auf Google bringt einerseits immer ein Resultat, andererseits ist das Resultat schon vorgefiltert. Was relevant ist, entscheidet ein Algorithmus, nicht der Suchende. Das bedeutet vielfach auch, dass Relevantes nicht gefunden wird, weil es in der Ergebnisliste nicht erscheint. Auf das Wissen, wie Wissen im (hybriden) Informationsraum gefunden werden kann und wie dessen Qualität zu beurteilen ist, muss noch stärker Wert gelegt werden.

Historiker müssen sich eine fundierte Medienkompetenz aneignen. Einerseits wird der Informationsraum stetig erweitert: Datenbanken (z.B. Bibliothekskataloge) werden verlinkt und mit ergänzenden Informationen versehen (Metadaten), Volltextsuchen können auf immer mehr Objekte angewendet werden, Daten werden in komplexen Modellen dargestellt. Andererseits weisen digitale Objekte neue und andere Eigenschaften auf als analoge und müssen dementsprechend kritisch hinterfragt werden, was eventuell einer neuen Methode bedarf. Haber fragt nach einer Anpassung der bisherigen Historischen Quellenkritik nach Droysen und stellt die technischen und rechtlichen Problematiken im Umgang mit digitalen Objekten dar. Neue Konzepte wie Data Driven History und Plattformen für kollaboratives Arbeiten und Publizieren könnten der Geschichtswissenschaft neue Impulse verleihen, ohne die qualitativen Ansprüche herabzusetzen. Die Nutzung solcher hilfreicher Tools ist in der akademischen Geschichtsschreibung hingegen (noch) wenig anerkannt.

Peter Haber zeichnet mit «Digital Past» nach, wie ‘der Computer’ in der Geschichtswissenschaft Verwendung fand und welche Problematiken sich heute bei der Nutzung von Internet und digitalen Quellen stellen. Die genannten Aspekte werden fundiert dargestellt und bieten eine Einführung in die geschichtswissenschaftliche Arbeitspraxis. «Digital Past» sollte für jeden Historiker zum Curriculum gehören, weil es die Grundlagen der Informationsverarbeitung in der Geschichtswissenschaften darlegt. Die Sensibilisierung für die Problematiken im Umgang mit den elektronischen Medien ist sowohl bei ‘Digital Natives’, welche mit Personal Computer und Internet aufgewachsen sind, als auch bei ‘Digital Immigrants’, welche noch mit Füllfederhalter und Schreibmaschinen hantierten, nicht grundsätzlich gegeben. Welche zusätzlichen Fertigkeiten (z.B. aus den Archiv- und Bibliothekswissenschaften oder der Informationstechnologie) ein Geschichtswissenschaftler im 21. Jahrhundert benötigt, ist eine der von Haber aufgeworfenen zentralen Fragen. Die Weiterentwicklung der Historischen Methode ist für ihn ein weiterer wichtiger Schritt, die Geschichtswissenschaft in die digitale Zukunft zu überführen. Vor allem wie digitale Arbeitstechniken im und mit Web 2.0 / 3.0 /… für die Geschichtswissenschaft nutzbar gemacht werden können und wie sie das Fach selbst verändern.

«Digital Past» bereichert die Diskussion in den Digital Humanities (einem nicht genau definierbaren Begriff), welche sich mit digitalen Arbeitsmethoden auseinandersetzen. Peter Haber bettet in die Entstehungsgeschichte der geschichtswissenschaftlichen elektronischen Arbeitstechnik die damit verbundenen Probleme für die historisch-kritische Methode ein und zeigt auf, welche Arbeitstechniken von Historikern zukünftig eingesetzt werden sollten oder sogar müssten. Zwar fokussiert er sich auf diese Techniken, die aufgeworfenen Fragen sind hingegen für die gesamte Wissenschaft von Bedeutung. Für die Geschichtswissenschaft hat die Auseinandersetzung mit digitalen Quellen und Arbeitsmethoden mit «Digital Past» erst begonnen – unverständlicherweise.

Zitierweise:
Pascal Föhr: Rezension zu: Peter Haber: Digital Past. Geschichtswissenschaft im digitalen Zeitalter. München, Oldenbourg Verlag, 2011. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Geschichte Vol. 64 Nr. 1, 2014, S. 191-193.